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Title
Der Diplomat und die Päpste. Die Mission des ersten deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl
Other Titles
Diego von Bergen 1920–1943


Author(s)
Wand, Gregor
Published
Paderborn 2021: Ferdinand Schöningh
Extent
X, 254 S.
Price
€ 69,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Jörg Zedler, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Bereits der Titel („Der Diplomat und die Päpste“) lässt Ausrichtung und Verortung der 2016 an der Universität Potsdam eingereichten Dissertation von Gregor Wand erahnen – nimmt er doch unverkennbar Bezug auf die 2008 erschienene Arbeit Jobst Knigges zu Ernst von Weizsäckers Wirken als deutschem Botschafter am Heiligen Stuhl von 1943 bis 1945 („Der Botschafter und der Papst“).1 Mehr als eine formale Anlehnung, hat die Entscheidung weitreichende Folgen für die Gestaltung der Monographie, bedingt sie doch eine in der Einleitung klar benannte zeitliche wie eine inhaltliche Schwerpunktsetzung: Vorrangig geht es dem Autor darum, das Mitwirken der deutschen Botschaft am Heiligen Stuhl an der NS-Politik, die ihr zur Verfügung stehenden strukturellen Handlungsspielräume sowie deren individuelle Nutzung seitens des Botschafters und einiger nachgeordneter Diplomaten zu zeigen. Indem Wand darauf zielt, dergestalt das „Profil des Auswärtigen Amts als Akteur zu schärfen“ (S. 10), schließt die Arbeit klar an „Das Amt und seine Vergangenheit“ von 2010 und die hierüber geführte Debatte an.2

Tatsächlich ist die vorliegende Studie eher institutionengeschichtlich zu verorten denn als politische Biographie Diego von Bergens, von 1920 bis 1943 der erste deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl. Dies dürfte nicht zuletzt im Fehlen eines persönlichen Nachlasses des Diplomaten begründet sein. Die Perspektive des Heiligen Stuhls auf die geschilderten Sachverhalte ist weitgehend ausgeblendet, das Agieren der deutschen Botschaft ist primär in den Kontext der Politik des Auswärtigen Amtes eingebettet.

Thematisch zerfällt die Darstellung, eingerahmt von Einleitung (S. 1–12) und Resümee (S. 213–220) in zwei große Teile: Der kleinere skizziert die personelle Entwicklung der preußisch-deutschen Vertretung am Heiligen Stuhl seit 1871 (S. 13–71), während der größere (S. 73–211) ausgewählte außenpolitische Sachthemen zwischen 1871 (Kulturkampf) und 1943 (Wissen um den und Flankierung des Holocaust) in den Blick rückt. Obwohl jeweils chronologisch aufgebaut, gelingt es Wand weitgehend, Redundanzen zwischen den Teilen zu vermeiden; Flüchtigkeitsfehler (das Attentat von Sarajevo war nicht am 28. Juli 1914 und Wolfram von Rotenhan entstammte nicht dem nobilitierten Großbürgertum, S. 84 bzw. 19) und ein zuweilen etwas unruhiger Sprachfluss erschweren leider mitunter die Lektüre der Darstellung. Dass der Forschungsstand eher summarisch ausfällt, liegt hingegen an der thematischen Ausrichtung, d.h. der Einbettung der Botschaftstätigkeit in die Geschichte des Auswärtigen Amtes. Dementsprechend bieten die einschlägigen thematischen Kapitel für die Jahre zwischen Kulturkampf und Weimarer Republik (II. 1. und II. 2) kaum Neues, das über den bekannten Forschungsstand hinausgeht. Hier bleibt auch zukünftig Raum für zahlreiche Forschungen zur Rolle der Gesandtschaft/Botschaft in den Staats-Kirchen-Verhältnissen, etwa ihrer Rolle während der Modernismuskrise oder bei Bischofsbesetzungen (nicht zuletzt, nachdem seit 1919 im Saargebiet und in Polen die neuen National- und die alten preußischen Diözesangrenzen nicht übereinstimmten, so dass sich hier ein weites, wenngleich nicht ganz gewöhnliches außenpolitisches Aktionsfeld auftat); das nämliche gilt für den Anteil der preußischen Vatikanvertretung, Italien 1915 vom Intervento abzuhalten bzw. den Papst während der Weimarer Republik für deutsche Anliegen (Kriegsgefangene, Reparationen, Ernennung „deutscher“ Heiliger im internationalen Wettkampf um moralische Legitimierung) zu gewinnen und reicht bis zur Frage nach ihrem Einfluss auf das preußische Konkordat (der Botschafter war zugleich preußischer Gesandter).

Unterstreichen kann der kollektivbiographische Zugriff des ersten Teils bestehende Forschungen sowohl zu Herkommen und Prägung des Dipomatischen Korps aus dem adlig-konservativen Milieu während des Kaiserreichs, als auch deren weitverbreitete konservativ-revisionistische Beharrungskraft in der Weimarer Zeit. Die Reaktion Bergens auf die – (auch) auf Verbürgerlichung des Diplomatischen Korps zielenden – Reformen Edmund Schülers changierte zwischen Resistenz und Widerstand. Der erste deutsche Botschafter am Vatikan wird damit als monarchistisch-revisionistisch, antiliberal, antirepublikanisch sowie als typischer Vertreter einer Generation gezeigt, die im Kaiserreich sozialisiert und bestens mit inhaltlichen Fragen ihrer Posten vertraut war, aber die Demokratisierung in personalpolitischer und inhaltlicher Hinsicht torpedierte.

Nach 1933 zeigte sich Bergen, wie die Mehrheit seiner Kollegen, abwartend-wohlwollend gegenüber dem Nationalsozialismus. Wand geht von einem raschen und fließenden Übergang in die Selbstgleichschaltung sowohl der Botschaft als auch des Missionschefs aus, weist allerdings selbst auf einige Aspekte hin, die sich einer allzu glatten Interpretation sperren: Immerhin kam es Ende 1933 zur Abberufung von Legationssekretär Ludwig von Saurma-Jeltsch, der als SA- und Parteimitglied als weit linientreuer galt als sein Nachfolger Eugen Budde (gegen dessen Abberufung Bergen 1937 protestierte und dabei Professionalität über Parteitreue stellte). Auch der relativ späte Parteieintritt (1939) Bergens und seines Legationsrats Friedrich Menshausen (auch dessen Vorgänger Eugen Klee war kein PG) passt nicht ohne weiteres in das Bild der unmittelbaren Selbstgleichschaltung. Eine ausführlichere Diskussion des Verhältnisses zwischen (etwaig) situationsbedingtem taktischen Handeln einerseits und persönlichen Überzeugungen andererseits wäre sicherlich hilfreich gewesen, um die Handlungsspielräume noch besser auszuleuchten, auch wenn das infolge des Fehlens eines Nachlasses nur annäherungsweise und mit großem Aufwand gelingen kann. Aber nicht zuletzt hinsichtlich Bergens Agieren gegenüber der Kurie – z.B. bei seinen Beschwichtigungsversuchen nach dem Boykott vom 1. April 1933 (S. 192) oder seiner Kritik an der NS-kritischen Radiobotschaft des Jesuiten Gustav Gundlach nach dem „Anschluss“ 1938 – hätte eine intensivere Auswertung der Sachakten im AA einerseits und der vatikanischen Bestände andererseits womöglich weitere Aufschlüsse darüber erlaubt, ob und inwieweit Bergen die NS-Politik mit Überzeugung oder in der Überzeugung vertrat, sich dergestalt einen Freiraum für die Platzierung eigener Wünsche und Politik zu erhalten.

Dass ein solches zentrales Ziel Bergens die Herstellung bzw. Erhaltung der „Achse“ war, weist Wand überzeugend nach. Hieraus erklärt er sowohl die Missbilligung des Botschafters für das Konkordat (aus dessen Verhandlungen er völlig ausgeschlossen war) als auch dessen Bemühungen um ein behutsameres staatliches Vorgehen gegen die Kirche 1938/39 und in den ersten Kriegsjahren: Ersteres begriff er als zu großzügig, sodass die Kirche ihre verbrieften Rechte bei Nichteinhaltung öffentlich einklagen würde, was wiederum das katholische Italien beunruhigen musste; auch das zweite Plädoyer war wesentlich vom Blick auf den Achsenpartner bestimmt, dessen katholische Befindlichkeiten nicht ohne Not aufgewühlt werden sollten. Weil aber die rigide NS-Kirchenpolitik zunächst im Reich, dann vor allem in Osteuropa vatikanische Proteste nach sich zog, die wiederum Italien alarmierten, war ein latenter Konflikt zwischen Bergen und dem neuen Außenminister Ribbentrop vorprogrammiert. Dass dieser seinen Botschafter zunächst dennoch auf dem Posten beließ, ist für den Autor ein Zeichen der Relevanz der Achse im Jahr 1938. Erst als die von Hitler/Ribbentrop verfolgte Rassen- und Weltherrschaftspolitik nicht mehr mit der traditionellen Großmachtpolitik an der Seite Italiens in Einklang zu bringen war, wurde Bergen überflüssig und 1943 abberufen.

Schon zuvor hatte er gesichert Kenntnis von den rassistisch motivierten Verbrechen erhalten: im Herbst 1941 von den Erschießungen in der Sowjetunion, spätestens im August 1942 vom Holocaust. Ob er sich die Entrechtungspolitik „von Beginn an“ persönlich zu eigen machte (S. 192), sich bis 1938 radikalisierte (S. 198) und den Rassekrieg mittrug (S. 220), scheint durchaus möglich, angesichts des Umstands, dass er 1938/39 für eine Reduzierung antisemitischer Maßnahmen eintrat, und der mitunter offenen Frage, inwieweit sein Agieren taktisch motiviert war, aber nicht gesichert. Hier lässt die Arbeit Raum für zahlreiche, daran anschließende Forschungen, etwa solche, die danach fragen, wie die Botschaft die päpstliche Stellungnahme gegen den Rassenantisemitismus von 1928, den Rassensyllabus vom April 1938 oder die Arbeiten an der (unvollendet gebliebenen) Enzyklika gegen den Rassismus (1938/39) eingeschätzt und darauf reagiert hat. Um nicht missverstanden zu werden: Dies würde primär eine schärfere Konturierung der Person Diego von Bergens und seines Agierens erlauben, nicht aber das grundlegende Urteil über die institutionelle Haltung beeinflussen, auf die die vorliegende Studie zielt und die sie überzeugend ausdifferenziert. Denn dass die Botschaft mit ihrem Wirken die NS-Politik flankiert hat, daran kann es nach der Arbeit von Gregor Wand keinen Zweifel geben. Ebenso macht der Autor deutlich, dass die revisionistisch-imperiale Grundüberzeugung der nationalkonservativen Akteure, wie Diego von Bergen einer war, erhebliche Schnittmengen mit der NS-Politik aufwies. Bergens Agieren an der Kurie versuchte die verbrecherische Dimension in Teilen zu bemänteln, zu rechtfertigen oder die Kurie auf die Seite des Reichs zu ziehen. Das war seine Aufgabe, aber indem er sie erfüllte, trug er zur Durchsetzung der NS-Politik bei; da ist es nachrangig, ob nolens oder volens.

Anmerkungen:
1 Jobst Knigge, Der Botschafter und der Papst. Weizsäcker und Pius XII. die deutsche Vatikanbotschaft 1943–1945, Hamburg 2008.
2 Eckart Conze / Norbert Frei / Peter Hayes / Moshe Zimmermann, Das Amt und seine Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, unter Mitarb. v. Annette Weinke / Andrea Wiegeshoff, München 2010.

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